Der Mentor - Hörspiel | |
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Autor | Daniel Kehlmann |
Laufzeit | 57 Min. |
Rolle: Benjamin Rubin: Martin Wegner: Gina Wegner: Erwin Wangenroth: | Sprecher: Franz Xaver Kroetz Christoph Bach Stephanie Schönfeld Ilja Richter |
Erscheinungsdatum | 1. Februar 2015 |
Regie | Götz Fritzsch |
Verlag | DAV - Der Audio Verlag |
ISBN-13: | 4057664019042 |
ERHÄLTLICH BEI
Der Mentor von Daniel Kehlmann
Show Off der Egomanen in 57 Minuten
Nachdem der Applaus abgeklungen ist, hört man einen jungen Mann zu einer Dankesrede ansetzen; umständlich erklärt er (der Wahrheit zuliebe), dass der Namensgeber des Preises und er keine Freunde waren. Dann wechselt die Szene und das Kammerspiel beginnt: Vier Personen, irgendwo in einem Landhaus einer nicht näher benannten Kulturstiftung.
In dieser exklusiven Abgeschiedenheit sollen Altmeister Benjamin Rubin, dessen berühmtes Stück “Der lange Weg” nur noch in vergriffenen Reclam Heftchen statt auf Theaterbühnen zu finden ist, und Nachwuchstalent Martin Wegner, der von der Kritik als “Die Stimme einer Generation” bezeichnet wird, fünf Tage lang an dessen neuestem Bühnenstück feilen. So jedenfalls der Plan der Kulturstiftung. Wegner reist in Begleitung seiner Frau Gina an, Rubin wird von Stiftungsfunktionär Erwin Wangenroth umsorgt und im Teich quaken die Frösche.
Was dann folgt, ist natürlich nicht die gemeinsame Arbeit an Wegners Bühnenstück in gediegener Atmosphäre, sondern ein Austausch kleiner und großer Bosheiten zwischen zwei nach Anerkennung gierenden Kontrahenten, abgefasst in den für Kehlman typischen, pointierten, knapp gehaltenen Dialogen – gespickt mit allerlei Seitenhieben auf den Kulturbetrieb, das Regietheater und bestimmt durch die Frage, ob es in der Kunst (oder im Leben überhaupt) Gewissheiten gibt.
Der Mentor: Benjamin Rubin
Daniel Kehlmann hat offenbar einen Faible für gewiefte alte Knaben, die das Schicksal aus der Zeit fallen ließ. In Ich und Kaminski entpuppt sich ein blinder alter Maler als ausgekochtes Schlitzohr – ganz im Gegenteil zu dem jungen Karrieristen, der sein Biograph werden will. In der Vermessung der Welt begegnet man gleich auf den ersten Seiten dem übellaunigen und zu einem unversöhnlichen Misanthropen gealterten Gauß, der ganz unverkennbar etwas von Schopenhauer hat, diesem “verbiesterten Onkel der Menschheit” (Erich Kästner).
Und in “Der Mentor”? Tja, Rubin hat wenig von Schopenhauer (und wohl auch keinen Hund) und mehr mit Kaminksi gemein als mit Gauß. Bei Kaminski allerdings wusste man nie so genau, ob ihn sein Talent berühmt gemacht hat oder das Grücht, er sei blind. Bei Rubin dagegen ist wohl anzunehmen, dass sein Werk “Der lange Weg” tatsächlich herausragend war und nur die Mode irgendwann einen anderen Weg einschlug.
Ein Motiv, das Kehlmann hier wieder aufnimmt, ist die Tragik (und natürlich auch die Komik), die darin liegt, seine größte Schöpfung bereits hinter sich zu haben. In der Kunst kenne ich mich zu wenig aus, aber Heisenberg und Einstein fallen mir ein, die als junge Männer die Physik revolutionierten und in fortgeschrittenem Alter den Anschluss an die Forschung verloren.
Diese Erkenntnis, dass man den Höhepunkt seiner Fähigkeiten mit Mitte Zwanzig erreicht hat und danach die unvermeidliche Talfahrt einsetzt, dürfte nicht nur Naturwissenschaftlern einen leichten Schauer über den Rücken jagen. (Aus diesem Grund behauptet Ronaldo übrigens auch, sein biologisches Alter läge bei 23 – überzogenes Selbstbewusstsein gemischt mit einer gehörigen Portion Angst. Aber das nur nebenbei.)
Die brilliante Textsammlung Wo ist Carlos Montúfar? beendet Kehlmann mit einer kurzen Erzählung über das seltsame Gefühl, eigene Bücher zu lesen. Neben misslungenen und mittelmäßigen Stellen, gesteht er dort, gäbe es da auch einige Passagen, von denen er wisse, dass er etwas Ahnliches nie wieder hinbekommen wird.
Und was fängt man mit dem Wissen darum an, ein bestimmtes Niveau kein zweites Mal erreicht zu haben, es nicht erreichen zu können? Der Autor Rubin macht einen netten Bonmont daraus, brüskiert seine Umgebung mit dem divenhaften Habitus des Altmeisters und gewissermaßen als Höhepunkt, gräbt er die junge Ehefrau des jungen Kontrahenten an – eine kleine Entschädigung à la Faust immerhin.
Der Protegé: Martin Wegner
Mit seiner anderen Künstlerfigur geht Daniel Kehlmann ungleich schonungsloser um, was zu vielen lustigen, am Ende aber auch bedrückenden Momenten führt. Der junge Schriftsteller Martin Wegner nimmt an diesem Mentor-Projekt nur deshalb teil, weil die Stiftung das Honorar auf 10.000 € angehoben hat und und nicht etwa aus Verehrung für Rubin. Wegner, der sich im Schlagabtausch mit Rubin zunächst noch ironisch und süffisant gibt, zeigt sich in Gegenwart seiner Frau als erschreckend unsouverän, Halt suchend und geradezu unerträglich, denn er ist sich seines Talentes keineswegs so sicher ist, wie er vorgibt.
Ein weiteres Motiv in Der Mentor, das Kehlmann in seinem späteren Roman F noch umfassender behandelt und variiert, ist die Selbstverortung in der Kunst. Nicht unbedingt die Frage nach einer bestimmten ästhetischen Auffassung, obwohl das auch angerissen wird, als Wegner Rubin kurzerhand darlegt, worin sich beide unterscheiden, sondern die grundsätzliche Frage, wie groß die eigene Begabung überhaupt ist. Und woran man das festmachen soll.
Fazit: Kunst und Abendnebel
Was alle auftretenden Personen miteinander verbindet ist die Kunst, was sie trennt ist auch die Kunst und womit sie hadern ist wieder die Kunst. Rubin hadert damit, auf ein Werk reduziert zu werden, Wegner hadert mit seinem Talent, seine Frau tut das auch und Stiftungsmann Wangenroth wäre sowieso lieber Maler als Kulturfunktionär.
In irgendeiner Rezension habe ich gelesen, das überraschende Fazit des Stückes laute, Kunst sei subjektiv. Das ist überraschend falsch! Was natürlich daran liegen könnte, dass sich der Rezensent auf die Premiere in Wien bezog und ich nicht weiß, ob und inwieweit der dort verwendete Text von dem des Hörspiels abweicht.
Aber Kehlmann enthält sich eines solch klaren Fazits. Und wenn er überhaupt eine Antwort auf die Frage gibt, ob Kunst subjektiv ist, dann lautet sie völlig anders. Am Ende des Stückes sagt Rubin, an Wegner gerichtet, folgendes:
“Etwas in Ihnen spürt, in Kunstdingen gibt es ein absolutes Urteil, aber zugleich erfahren sie nie, wie es lautet.”
Der Mentor
Nein, die Pointe des Stückes löst Kehlmann anders auf: Wegner scheitert. Von ihm wird nie wieder ein Stück aufgeführt. Es ist nur nicht so klar, woran er am Ende scheitert. Ob an Rubins vernichtender Kritik, an seiner Frau, die ihm keinen Rückhalt mehr bietet, an seiner Neigung zu großen Gesten, an allem?
Wie eingangs erwähnt, glaube ich, dass das alles überragende Motiv die Ungewissheit ist. Denn gewiss ist hier wenig bis gar nichts. Hält Rubin Wegner wirklich für talentlos oder verspritzt der Alte sein Gift nur aus verletzter Eitelkeit. Plant Rubin die Verführung von Wegners Frau? Gab es überhaupt eine Verführung? Und wenn wir schon dabei sind, wer hat hier eigentlich wen verführt? Immerhin gehören dazu zwei und die intelligente Gina, die ihre Bewunderung für Rubin ganz unverhohlen zur Schau stellt, ist wohl kaum willenlos – ein Tor allerdings, ist immer willig, wenn eine Törin will, sagt Heine.
Ist Wegner nun talentiert oder nur ein nur alberner Verfasser “poetischen Geschwurbels”? Ist es ihm ernst mit diesen Quarksätzen aus den Untiefen des Konstruktivismus, der Welt als Wille und Vorstellung, die er mit Vorliebe in seinem Werk unterbringt oder verspottet er vielleicht sein Publikum?
Das ist alles nicht so klar, wie Wegner an einer Stelle selbst sagt. Klar ist eigentlich nur, dass in Homers Odyssee die Göttin Athene immer dann in die Gestalt des Mentors schlüpft, wenn Telemachos einen kleinen Anstoß braucht. Bei Kehlmann dagegen schlüpft der Mentor in… nun ja, und der Anstoß, den Wegner da bekommt, ist sein Todesstoß.
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Wobei das alles, bei Licht betrachtet, auch nicht so ganz klar ist. Denn vielleicht war der Hörer, man hätte es ahnen können, nur Publikum in Wegners neuestem Theaterstück. Vielleicht aber, auch das ist möglich, hörte man gar Rubins legendären langen Weg?
Wer weiß, wer weiß…